Montag, 11. Februar 2013

Ich habe mich ertappt, Oder: Eine persönliche Zusammenfassung der Debatte der letzen Wochen

Ich war und bin froh über die Sexismus-Debatte in Deutschland in den letzten Wochen. Währenddessen habe ich sehr viele Blogs, Twitter-posts, Artikel und Webseiten durchstöbert und gelesen (hier eine gute #aufschrei-Zusammenfassung). Dabei war ich entweder unheimlich erschrocken darüber, in welchem Ausmass und welcher Alltäglichkeit der Sexismus im so gern geglaubt modernen Deutschland des  21. Jahrhunderts vorkommt. Ich war erstaunt wie viele Geschichten mir selbst einfielen, wenn ich nur darüber nachzudenken begann oder mit Freundinnen darüber sprach. Oder ich war empört über die lustig-machenden und "ich-nehme-Dein-Problem-nicht-Ernst"-Reaktionen (siehe dazu die entsprechenden Sendungen von Jauch und Illner) bis hin zum bösesten Sexismus-Spam. Und ich war sehr froh über die vielen öffentlichen Stimmen der Frauen und Männer insbesondere meiner, also der Generation in den 20ern und 30ern, die von gegenseitigem Respekt, Menschlichkeit und dem Wunsch nach wirklicher Gleichberechtigung sprachen (u.a.: von einer Frau hier, von einem Mann hier oder eine Umfangreiche Liste hier). Allem in allem wurde doch recht deutlich der Protest zu vorherrschender Diskriminierung laut. 

Bis Ende meines Studiums war das Thema Feminismus kaum ein Thema für mich. Doch mit Einstieg in das Berufsleben vor einigen Jahren begann ich zu verstehen. Seit dem lese ich viele Zeitschriften, Bücher oder im Internet. Im Zuge der Debatte wurde ich selbst aktiv im Schreiben. Hab meinen Twitter-account aufpoliert, mit-gepostet und endlich diesen Blog weiter geschrieben.

Doch dabei habe ich mich selbst ertappt. Ertappt bei Gedanken, wie: "Was wenn jene Freunde, die das Thema nervig finden, mitbekommen, dass ich so feministische Gedanken habe". Das könnte mich unbeliebt machen. Ertappt, bei dem Gedanken, dass meine Familie, in der das Thema Diskriminierung der Frau als Problem der Vergangenheit angesehen wird, meine kritischen Gedanken liest. Und mir kam in den Sinn, dass ich im Berufsleben Nachteile haben könnte, wenn ich zu feministisch auftrete.

Es ist jedoch so, dass ich meist sehr offen über meine Meinung spreche. Nichtsdestotrotz oder deswegen kenne ich das Stillerwerden der Kollegen und Freunde um mich herum, wenn ein Argument zu emanzipiert klingt. Ich kenne die "ich-weiss-schon-was-Du-sagen-willst"-Haltung von Bekannten, die nicht auf Inhalte der Argumente hören, stattdessen die Kombination von bestimmten Wörtern in die Schublade "nervig" schieben. Und ich kenne sehr gut die Weigerung zu reflektieren und dem Gegenüber erstmal offen zu sein, statt es sofort zu verurteilen. Zusammengefasst, ich spüre häufig genug die - ausserhalb einer gewissen geisteswissenschaftlichen Sphäre - allgemein verbreitete Haltung "Feminisimus ist unbequem". Und da ich wie jeder Mensch keine absolut unabhängige Entität bin, sondern in einem Netzwerk von Menschen lebe, in das ich integriert bin und sein möchte, von dem ich mich nur kurzweilig aber nicht auf Dauer emotional und mental lösen kann, haben diese Haltungen natürlich Einfluss auf mich. 

Aus diesem Grund, fiel mit der Debatte ein großer Stein von meinem Herzen. Endlich wird darüber gesprochen, dass Sexismus kein marginales sondern ein großes Problem ist. Die Diskriminierung von Frauen ist kein Thema von gestern. Die Debatte machte deutlich für wie viele insbesondere junge Menschen das Thema aktuell ist, und dass deutlicher Diskussions- und Handlungsbedarf besteht. Dankend der vielen Stimmen der letzten Wochen, fühle ich mich nicht mehr als Jung-Eremit, der einer Horde Altfeministen nachläuft, welche an die gleiche Dominanz-Diskussionkultur gewöhnt sind, wie die Altherren.

Meine Empfindungen und Wahrnehmungen, sowie die tausender Anderer, können nicht einfach durch Negierung oder Lächerlichmachen abgeschafft werden.


Umso mehr macht es mich wütend und enttäuscht, wenn ich erlebe, dass die gleichen Menschen, die z.B. für Umweltschutz plädieren (dem ich absolut zustimme) oder über politische/soziale Ungerechtigkeiten in der Vergangenheit und der heutigen Gesellschaft sprechen (über die ich sehr gerne diskutiere), einfach den Fakt negieren, dass die Hälfte der Menschen in meinem Heimatland nur wegen ihrem biologischen Geschlecht nicht die gleichen Chancen bekommen. Ein Fakt, der zudem mit harten Zahlen und Studien belegt ist. Zahlen z.B. von der ungleichen Bezahlung, dem geringem Anteil von Frauen in Führungspositionen in Politik, Wissenschaft oder Wirtschaft und dem geringen Anteil von verurteilten Fällen sexuellen Missbrauchs*.
Es ist auch ein Fakt, der regelmässig im Alltag sichtbar wird, wenn z.B. meine Freundinnen von Zweifeln nach einem Bewerbungsgespräch berichten: "Die nehmen mich bestimmt nicht, mit einem kleinen Baby zu Hause. Mein Mann würde bei einer Krankheit auch zu Hause bleiben, aber das wissen die ja vorher nicht...."

Um es mit den Worten des feministischen Philosophen Dominique Kuenzle zu sagen:
(als Zusammenfassung der feministischen Schriften des Ehepaares John Stuart Mill und Harriet Taylor Mill aus dem 19. Jhd. ! )

Aber ich will keine, "Die ganze Welt ist schlecht"-Haltung einnehmen. Ich will nur deutlich machen, wie verführend es ist, sich über die Ungerechtigkeiten aufzuregen, die man selbst nicht verursacht. Wie einfach es ist, damit seine eigene Handlungsverantwortung zu verstecken und die Pflicht zur Selbstreflexion sowie zum Infragestellen der eigenen Position zu verweigern.

Natürlich kann keiner die Welt und die Bedingungen unter denen er handelt von Grund auf ändern. Trotzdem gilt eindeutig: Das Ignorieren und Leugnen eines relevanten Themas oder Problems ist auch eine Handlung.

Zwischenmenschlich wie öffentlich gilt, dass die diskriminierte Personen im Idealfall versuchen kann, den Mut aufzubringen, das Erfahrene klar zu äussern und zu kritisieren. Genauso relevant ist, meiner Meinung nach, die gesellschaftliche Pflicht für nicht-diskriminierte Personen, deutliche Stellung gegen die Diskriminierung zu beziehen (sonst auch Zivilcourage genannt). Es ist nicht so unwahrscheinlich, dass das Ausmass der Diskriminierung den Mut im ersteren Fall raubt. Dann wird die Zivilcourage besonders wichtig.

Aus diesen Gründen: zur Stellungnahme, aus Mut einer Betroffenen, zum aktiv Werden und zur Zustimmung zum Diskussions- und Handlungsbedarf, postete ich heute meinen Blog in jenem Netzwerk, in dem ich nicht anonym schreibe, sondern alle, die mich kennen, darüber lesen können: Ja, ich finde wir brauchen den Feminismus immer noch und er ist absolut cool! Denn so wie ich es sehe, geht es philosophisch, sozial und politisch gesehen um nichts anderes als die Schaffung einer 100% menschenwürdigen Gesellschaft! 

Ich denke, dass wir die Herausforderungen und Ungerechtigkeiten, denen wir in unserem Leben begegnen, uns nicht einfach aussuchen können. Wir müssen die naheliegenden unserer Zeit, die wir selbst beeinflussen können, erkennen und annehmen. Und ganz bestimmt werden sie unser Aller ganz innere Denkweise in Frage stellen. Gerne auch meine. Doch genau davon bin ich zutiefst motiviert. Denn...

...was wenn die Dinge gar nicht so sind, wie sie uns auf den ersten Blick erscheinen? Wer will dann die Augen verschliessen, anstatt seine Vorstellungen zu hinterfragen?


Zuletzt noch ein Hinweis: es ist krass wie vielschichtig und Komplex das Thema Diskriminierung ist. Zum Beispiel gibt es diese Woche am Valentinstag die Aktion "One-billion-rising". Die Motivation finde ich super, sowie die Idee einfach gegen Gewalt gegen Frauen zu tanzen genial. Aber die Art des Kampagnenvideos ein wenig befremdlich, da hier plakative Stereotype aufgefahren werden, um die Brutalität von Sexueller Gewalt deutlich zu machen. Gruppenvergewaltigung finden nicht nur in der dritten/zweiten Welt, z.B. wie Indien statt. (z.B. kam es grasserweise nur kurz nach dem weltweit bekannt gewordenen Fall in Neu Delhi zu einem ähnlichen Fall mitten in Berlin, bei dem die Frau fast gestorben wäre.)
Eine Stellungnahme des GLADT (das sind türkeistämmige LSBTT ausserhalb der Türkei) hat dieses Problem in Worte gefasst. Diskriminierung kann mehrfach stattfinden und Stereotype helfen uns einfach nicht weiter. Auch dann nicht, wenn sie positiv gemeint sind, also gegen Diskriminierung angebracht werden.

*) Anmerkung für die Kritiker der Verurteilung von Fällen von Sexuellem Missbrauch: es wird davon ausgegangen, dass wie bei anderen Verbrechen etwa 1-3% der Anschuldigungen erfunden sind. Selbst mit dieser anerkannten Statistik wäre das Verhältnis der nicht verurteilten wahren Täter zu den theoretisch fälschlicherweise Verurteilten extrem hoch.

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