Dienstag, 19. November 2013

Mein Senf zu Prostitution und ihre Heimlichkeit

Seit einigen Wochen wird in Deutschland über Prostitution diskutiert. Jetzt gebe auch ich meinen Senf dazu. Ich versuche das mal auf gedankliche Art, d.h. ohne Statistiken, Befragungen, Studien, welche sich jeweils widersprechen und mir von aussen nicht sagen, ob sie veraltet, verfälscht, wahr oder wissenschaftlich sind.

Zunächst muss ich zugeben, dass ich zu Beginn ganz eifrig den Emma-Appell gegen Prostitution unterzeichnet habe: Motiviert war ich dazu von dem Ausspruch gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution in Deutschland. Prostitution ist seit 2002 in Deutschland legal, was laut Emma, Sozialarbeiter_innen und Polizei die Verfolgung von Menschenhandel verhindert. Nach Beobachtung der Diskussion und Lektüre einiger Artikel, entschied ich aber, dass für und wieder wiedermal nicht so einfach sind. So liess der öffentliche Widerspruch von vielen Seiten nicht lange auf sich warten, welchen ich stückweise in der Bloggosphäre (z.B. bei kleinerdrei), im Fernsehen (z.B. bei Jauch) und in einem Gegenappell FÜR Prostitution verfolgt habe. In manchen Artikeln wird über Begriffe wie moderne Sklaverei diskutiert, ob wir Menschenhandel so bezeichnen dürfen oder nicht. Das brachte mich nicht wirklich weiter. Eine Ausnahme ist der sehr lesenswerte, da differenzierte Beitrag von Antje Schrupp: Fünf Thesen zu Prostituion.

Nach der Verfolgung der Diskussion und vielen Gedanken bin ich nun überzeugt, dass der initialen Aktion zu Recht vorgeworfen wird, dass sie sehr populistisch argumentiert und vor allem, dass Prostitution an sich mit Menschenhandel in einen Topf geworfen wird. Warum will Alice Schwarzer Prostitution komplett verbieten, wenn es ihr nach eigener Aussage (bzw. Emma-Artikeln) eigentlich um Menschenhandel/Zwangsprostitution geht? Und haben wir nicht durch Alkohol- und Drogenverbote gelernt, dass diese nichts abschaffen.

Zwei Hauptargumente der Prostitutionsbefürworter, die mir sehr logisch erscheinen, sind: 

  • Der Zwang in Zwangsprostitution (und Menschenhandel) entsteht nicht aus der Prostitution und somit ist ein Verbot letzterer unsinnig (in dem Sinne, dass auch kein Verbot der Ehe zur Verhinderung von Zwangsehe in Betracht gezogen werden würde). Somit würde z.B. auch Armutsprostitution sinnvoller durch Bekämpfung von Armut angegangen werden, statt durch ein Prostitutionsverbot.
  • Die Illegalisierung der Freier (wie im vom Alice Schwarzer propagierten Schwedischen Modell) illegalisiert letztlich auch die Prostitution und damit werden die Sexarbeiter_innen in dunkle Milieus verdrängt und sind dort ausgeliefert.
Da mich diese Argumente überzeugten, dass wir Menschenhandel & Zwangsprostitution nicht durch ein Prostitutionsverbot bekämpfen können, habe ich im Sinne >Gegen Menschenhandel-aber-für-die-Rechte-von-Sexarbeiter_innen< ebenso den Appell FÜR Prostitution unterschrieben. 

Andererseits, können die Moralvorstellungen der Menschen nicht einfach ignoriert werden. Aber natürlich sollten sie konfrontiert werden! Denn ich denke, dass in der Gesellschaft schon eine moralische Diskussion über Prostitution stattfinden müsste; von Mensch zu Mensch; was Prostitution für uns bedeutet und warum es sie gibt!

Ich denke, ein Verbot der Prostitution wäre ein Ausdruck der Ohnmacht davor wie groß die Nachfrage nach Prostitution ist. Und es wäre wohl nur eine Ersatzhandlung für die Notwendigkeit ehrlich mit dem Thema umzugehen. Also z.B., dass wir nicht alle die gleichen oder gar richtigere Moralvorstellungen haben, dies aber versucht wird zu vorzugaukeln. Dass wir selbst für die moralische Übereinstimmung in einer Partnerschaft verantwortlich sind. Dass z.B. Menschen, die in einer Beziehung leben und trotzdem heimlich eine Sexarbeiter_in besuchen, die gesundheitliche Verantwortung für ihren Partner verletzen. Dass jene Menschen, meist Männer, die eine Sexarbeiter_in aufsuchen auch dazu stehen könnten.
...
Und komisch, ich habe in meinem privatem Umkreis noch nie einen Mann (aber auch sehr wenige Frauen) überhaupt das Wort Bordell oder Prostituierte in den Mund nehmen hören, selbst wenn ich das Thema anspreche! Mensch müsste annehmen die existieren gar nicht. Hier wird sehr oft einfach nicht die Wahrheit ausgesprochen und sich stumm gehalten um 
im Nichts-sagen moralische Korrektheit vorzugaukeln!

Und nun bin ich beim Kernanliegen meines Senfes. Mir fehlt in der gesamten Diskussion die Seite der potentiellen und realen Kunden von Prostitution, welche wohl nahezu ausnahmslos Männer sind. Warum gibt es keine Forderungen jener Dienstleistungsnutzer nach weiterer Legalisierung der Dienstleistung Prostitution? Das wäre doch in deren Interesse. Aber ein Verstecken der eigenen hinter einer "korrekten" Moralvorstellung, bietet auch die Chance jeweils Nutzen aus den einzelnen Haltungen zu ziehen (z.B. als treuer Partner sowie heimlicher Bordellbesucher).


Den Gegnern der Prostitution wird (zu Recht) vorgeworfen, dass sie Sexarbeiter_innen als Opfer darstellen und ihnen dadurch schaden. Aber warum wird nicht auch den Kunden der Prostitution vorgeworfen, dass ihre Doppelmoral - erkennbar durch die Verheimlichung ihres Bedürfnisses - die Prostitution an den Rand der Gesellschaft schiebt? Also warum werfen wir das den Freiern nicht genauso vor, wie Frau Schwarzer ihre populistische Argumentation?

Denn am Ende müssen sich in der Öffentlichkeit nur jene Menschen, rechtfertigen, die eine sexuelle Dienstleistung anbieten, anstatt solche Menschen, welche sexuelle Dienstleistungen verlangen. In dieser Schieflage drückt sich aus meiner Sicht ein enormer Wiederspruch aus, der ganz tief in unserer Gesellschaft sitzt. 
Diese Schieflage wiederum wird durch ein Verbot verdeckt aber nicht gelöst.

Letztlich denke ich auch, dass ich persönlich die Nachfrage (!) nach Prostitution abstoßend finden darf, weil sie mir als Ausdruck von und Ventil für Sexismus und Frauenverachtung erscheint und es mir schwer fällt Freier ernst zu nehmen, solange sie sich hinter einer Doppelmoral verstecken. ... Aber trotzdem bin ich gegen die Diffamierung, Illegalisierung und Ausgrenzung oder Sexarbeiter_innen selbst, egal aus welchem Grund sie das tun, und ob freiwillig oder aus Zwang. Und ich denke, auch Sexismus werden wir wohl nicht einfach durch ein Prostitutionsverbot abschaffen.

Doch wie genau nun dieser ganze Konflikt politisch zu bewerkstelligen ist, und gleichzeitig Werkzeuge zur Bekämpfung von Menschenhandel sichergestellt werden können, weiss ja am Ende keiner so wirklich. Denn wir hatten wir noch kein bekanntes einwandfrei funktionierendes System, das diese Anforderungen erfüllt. Also bleibt uns wohl nur weiter zu diskutieren und dann nach dem "trial-and-error"-Prinzip zu handeln. In jedem Fall aber, und da sind sich wohl alle einig, ist eine Überarbeitung des derzeitigen Gesetzes notwendig. Vielleicht versuchen wir, bevor wir erneut die Verbotskeule schwingen, erst mal konkret die aktuellen Probleme anzugehen...



späterer Nachtrag: Eines müssen wir der viel kritisierten Alice Schwarzer lassen, dass endlich über dieses Thema diskutiert wurde und auch noch wird, haben wir ihr zu verdanken.

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